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Fähre oder Flugzeug?

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2018-12-09 2018-12-09 09.12.2018

Mit dieser Frage wird jeder konfrontiert, der vorhat, eine griechische Insel zu besuchen.

Während die einen die Anreise mit dem Schiff lieben, ist es für andere ein absolutes No-Go. Für Letztere ist es egal, solange die Insel über einen internationalen Flughafen verfügt. Es ist auch noch hinnehmbar, wenn sie wenigstens einen kleinen nationalen Flughafen hat, den man mit einer meist griechischen Propellermaschine erreichen kann. Zum echten Problem wird es erst, wenn gar kein Flughafen vorhanden ist. Spätestens jetzt heißt es, Augen zu und durch, ab auf die Fähre oder die kleinen Inseln bleiben unerreichbar, was äußerst bedauerlich wäre, weil man dann auf viele schöne Momente verzichten müsste.

Diejenigen, die keine grundsätzlichen Probleme haben, eine griechische Fähre zu benutzen, es allerdings als Verschwendung wertvoller Urlaubszeit betrachten, sollten unbedingt den Artikel bis zum Ende lesen. Die Ängstlichen sollten sich wenigstens darüber im Klaren sein, dass die Zeiten, in denen griechische Fähren vom ADAC als lebensgefährliche Seelenverkäufer bezeichnet werden mussten, Gott sei Dank vorbei sind und der gefährlichste Teil der Reise die Fahrt zum Fährhafen sein dürfte. In den meisten Fällen verrichten heute moderne, dem internationalen Sicherheitsstandard entsprechende Schiffe ihren Dienst. Besonders angetan haben es mir die liebevoll restaurierten, modernisierten und auf den aktuellen technischen Stand gebrachten alten Schiffe mit meist interessanter Historie, die zum Teil noch aus den siebziger Jahren stammen und zum Beispiel als Kanalfähren zwischen dem Festland und England zum Einsatz kamen. Mein persönlicher Favorit unter diesen Oldtimern ist die „Superferry II“ von GOLDEN STAR FERRIES, deren wahres Alter aufgrund der umfangreichen vorgenommenen Umbauten wohl niemand erraten würde.

Im Folgenden möchte ich nun beschreiben, wie ich meine erste Überfahrt erlebt habe und warum es bei mir zu einem dramatischen Meinungsumschwung kam. Vielleicht kann ich ja bei dem einen oder anderen Zweifler auch das Interesse und möglicherweise sogar eine neue Leidenschaft wecken.

Nach ungefähr 25 Jahren, in denen ich griechische Inseln immer nur direkt per Flugzeug ansteuerte bzw. ansteuern ließ, gingen mir langsam die Ziele aus und ich hatte beschlossen, mich auf das „Abenteuer“ Fähre einzulassen. Meine langjährige Urlaubsbegleitung hatte schon seit einigen Jahren ihre positiven Erfahrungen auf diesen von mir stets skeptisch beäugten Verkehrsmitteln gemacht und hatte einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, dass ich mich auf diese in meinen Augen „Ochsentour“ begab.

Nachdem der Hafen erreicht und der richtige Anlegeplatz gefunden war, was in Piräus aufgrund der Größe des Hafengeländes nicht ganz unbedeutend ist, besonders wenn die Zeiten eng getaktet sind, suchten wir uns ein geeignetes Plätzchen, um den Einlauf des „eigenen“ Schiffs nicht zu verpassen. Ich hatte genügend Zeit zum Nachdenken und wurde mir bewusst darüber, dass, obwohl ich schon seit einigen Stunden unterwegs war, zeitlich betrachtet ein großer Teil der Reise immer noch vor mir lag. Ich schaute ständig auf die Uhr, fragte beim freundlichen Snackbar-Besitzer noch mal nach, ob hier auch wirklich gleich die „Blue Star Naxos „anlegen würde und bestellte noch einen Freddo Cappuccino. Die anderen Wartenden wirkten alle sehr entspannt und zufrieden, was sich langsam auch auf mich übertrug.

Ich hörte griechische Töne, konnte griechisch essen und trinken und spürte die Kraft der griechischen Sonne. Kurzum, ich war in Griechenland. Auch wenn das Ziel noch nicht erreicht war, hatte der Urlaub doch bereits begonnen. Der Übergang verlief nur sanfter als bei einem Direktflug auf die Trauminsel. Ich hatte auch nicht dieses komische Gefühl, körperlich bereits angekommen zu sein, während die Gedanken aber noch darum kreisen, ob man zu Hause den Herd ausgeschaltet und die Türe abgeschlossen hat. Und jetzt folgte auch noch so eine Art Tagesausflug mit einem Schiff. So muss man die Sache sehen, dann hat man auch kein gedankliches Problem mit der Verschwendung wertvoller Urlaubszeit. Integrieren und genießen, anstatt sich die kindliche Frage zu stellen, wann man denn endlich da sei. Warum gibt es wohl auf Autorücksitzen und im Flugzeug quengelnde Kinder, während diese im Hafen und an Bord eines Schiffes mit großen Augen alles unheimlich spannend finden?

In derartige schon beinahe philosophische Gedanken vertieft, tauchte dann irgendwann das Schiff auf, flößte mir erst einmal durch seine Größe Respekt ein und legte in einem eleganten Bogen direkt vor uns an. Ein geordnetes Chaos nahm seinen Lauf, als die bedauernswerten Touristen, die ihren Urlaub bereits hinter sich hatten, gemischt mit den Einheimischen auf Verwandten-, Behörden- oder Arztbesuch sowie einigen Geschäftsleuten bemüht waren, möglichst alle als erste von der Fähre zu kommen. Nachdem auch die PKW das Schiff über die Rampen verlassen hatten, begannen die Zugmaschinen, die ordentlich in Reih und Glied auf ihren Einsatz gewartet hatten, mit bewundernswerter Präzision die Auflieger aus dem Schiffsbauch zu ziehen, um im Gegenzug andere dort wieder hineinzubringen. Eine logistische Meisterleistung, die bemerkenswerter Weise völlig ohne Hupen und ohne Hektik ablief und im Gegensatz zu dem Verhalten der Fußgänger äußerst effizient zu sein schien. Allein die ständig hektisch winkenden und laut trillerpfeifenden Vertreter der Port-Authority fielen etwas aus dem Rahmen, wurden aber von den meisten einfach erfolgreich ignoriert.

Die ersten 30 Fotos waren bereits auf der Speicherkarte, bevor wir selbst an der Reihe waren, die „Naxos“ über eine der Rampen zu entern, um einen möglichst guten Platz für das Gepäck in den dafür vorgesehenen, meist viel zu kleinen Regalen zu ergattern. Dann über eine Rolltreppe auf der Passagierebene angekommen, konnte ich mir einen ersten Eindruck über die verschiedenen Möglichkeiten verschaffen, wie und wo man seine „Seereise“ verbringen kann. Vom Gartenstuhl oder Plastikbank an Deck, über die Cocktailsessel im Café oder die Airseats in unterschiedlich großen Separees oder Sälen bis zur eigenen Kabine war alles im Angebot, je nach Geschmack. Wir hatten uns gegen einen geringen Aufpreis für die bequemen Airseats entschieden, was einen natürlich nicht daran hindert, trotzdem das ganze Schiff zu erkunden und je nach Witterung auch an Deck zu bleiben. Nur die Business-Class bleibt einem verwehrt, wenn man kein Extra-Ticket dafür erworben hat.

Die Leinen wurden gelöst, die Klappen schlossen sich, unspektakulär und langsam nahm die „Naxos“ Fahrt auf und wir bewegten uns in Richtung Hafenausfahrt. Die Reisepille war noch in der Hemdentasche, wegen Windstärke 7 bis 8 hatte ich sie vorsichtshalber eingesteckt. Ich will es vorwegnehmen, sie blieb auch dort, denn die modernen Schiffe mit ihren Stabilisatoren pflügen relativ unbeeindruckt durch die Wellen und nichts erinnert einen an die schaukelige Fahrt nach Helgoland in den frühen Siebzigern, auf der ich mir eine solche Pille gewünscht hätte. Wer auf ein solches Abenteuer allerdings nicht verzichten möchte, dem sei zum Beispiel eine Fahrt mit der Express Skopelitis bei 7 Beaufort empfohlen.

Egal in welche Richtung ich schaute, jede Perspektive hatte ihre Reize. Nach hinten die mächtige Spur, die das Schiff im Meer hinterließ, nach vorne die Wellen und die Gischt, die beim Teilen der Wellen durch den Bug entstanden, und seitlich die entgegenkommenden Schiffe. Wenn man je nach Abfahrtzeit noch einen Sonnenuntergang erleben darf, ist das Fotoalbum schon wieder um ein paar Sehnsuchtsmotive reicher. Inzwischen fing ich an, die Fahrt zu genießen und es wurde Zeit für einen ersten überteuerten Wein oder Ouzo, um sich die verbleibende Reisezeit weiter zu versüßen. Außerdem hatten wir ja schließlich Urlaub. Irgendwann machte die Lautsprecheransage an Bord darauf aufmerksam, dass wir in ein paar Minuten den Hafen von Syros erreichen würden und die Passagiere, die dort aussteigen wollten, sich langsam auf das Verlassen der Fähre vorbereiten sollten. Für uns Nichtaussteiger bot sich die Gelegenheit, das Anlegemanöver von den Achterdecks mit zu verfolgen und den Blick auf die malerische Inselhauptstadt Ermoupolis zu genießen, was bei uns dazu führte, dass wir einige Jahre später ebenfalls zu den „Syros-Aussteigern“ gehörten und es übrigens nicht bereut haben.

Beim übernächsten Hafen waren wir schon selbst dran, mehr als sechs Stunden waren wie im Flug vergangen, nur schöner und entspannter. Wir begaben uns in Richtung der Rolltreppe bzw. der Aufzüge und reihten uns in die Schlange ein. Nachdem wir unser Gepäck wieder in Besitz genommen hatten, warteten wir in der Garage vor der großen Rampe auf den Moment überhaupt. Nämlich, dass sich diese Klappe öffnet, den Blick auf den Zielhafen freigibt und einen überglücklich den festen Boden der ausgewählten Urlaubsinsel betreten lässt. Meine erste Anreise mit einer Fähre ging zu Ende und ich war begeistert.

Im Gegensatz zur nüchternen Atmosphäre auf dem Flughafen mit der Wartezeit am Gepäckband, wird man hier regelrecht warmherzig vom griechischen Alltag in Empfang genommen. Bei privat vorgebuchten Unterkünften erwarten einen die Vermieter, bei Pauschalreisenden die Reiseleiter und diejenigen, die nichts vorgebucht haben und einfach nur mal so aussteigen, haben, je nach Saison, noch die Möglichkeit, sich an die Personen zu wenden, die voller Erwartung ihre „rooms to rent“-Schilder in die Höhe halten. Beim Aussteigen ist man dann selbst Bestandteil dieses Gewusels, das man vor ein paar Stunden noch belächelt hat. Alles muss irgendwie schnell gehen und man bedauert hinterher, dass man nur noch mit einem flüchtigen Blick Abschied von seinem Schiff genommen hat. Aber es kommt ja wieder.

Spätestens zur Rückreise gibt’s ein Wiedersehen. Übrigens auch hier bietet die entschleunigte Art des Reisens einen großen Vorteil. Während man bei der Flugreise schon fast wieder im grauen Alltag angekommen ist, befindet man sich bei der Abreise per Fähre noch auf dem Schiff und bekommt die Gelegenheit, sich langsam und mit angemessenem Respekt von Griechenland zu verabschieden. Wer noch die Möglichkeit hat, ein oder zwei Tage in Athen zu verbringen, erspart sich den Kulturschock, der einen zwangsläufig ereilt, wenn zwischen Insel und eigener Haustüre nur 4 Stunden plus Taxifahrt liegen. Allerdings muss man sich Athen auch erst erobern, es soll durchaus Menschen geben, die es dort schrecklich finden. Mein Tipp: ausprobieren.

Zu guter Letzt möchte ich noch ein paar weniger persönliche Gedanken zum Thema Fähren loswerden.

Ein echter Griechenlandfan sollte einfach nicht darauf verzichten, mit dem griechischsten aller Verkehrsmittel Bekanntschaft zu machen. Die Schiffe sind ja nicht ausschließlich für die Touristen bereitgestellt worden, sie sind ganzjährig unabdingbar, um die Versorgung auf den Inseln aufrecht zu erhalten. Ein Streik kann sowohl die Inselbewohner als auch die Urlauber schon mal nervös werden lassen, insbesondere, wenn er länger andauert. Im Dezember 2016 gab es einen mehrtägigen Streik, zu dem die griechische Gewerkschaft der Seeleute, die PNO, aufgerufen hatte. LKW standen mehrere Tage in den Häfen, Lebensmittel verrotteten, es kam zu Versorgungsengpässen und Menschen konnten wichtige Arzttermine nicht wahrnehmen. Dies ist die unromantische Seite der Schifffahrt in Griechenland.

Viele Routen müssen staatlich subventioniert werden, da sie unwirtschaftlich sind, aber trotzdem muss auch hier gewährleistet sein, dass Nahrung, Baumaterial, Medikamente etc. diese Inseln erreichen. Wie bei uns Bus-, Bahn-, Güterverkehr per LKW und Individualverkehr per Auto gehören die Fähren zwischen den Inseln einfach zum griechischen Alltag. An den Feiertagen wie Weihnachten, Silvester usw. drängt fast ganz Griechenland auf die Fähren. Alle wollen nach Hause, in welcher Richtung das auch immer liegen mag. Ganz besonders rege wird es zu Ostern oder um den 15. August herum, Mariä Himmelfahrt, Kímisi tis Theotókou: Wer da nicht vor gebucht hat, hat fast keine Chance, noch einen Platz an Bord zu ergattern. Und fast alle nehmen ihr Auto mit, die Inseln platzen dann aus allen Nähten. Bei der Rückfahrt sind die Häfen oftmals nicht mehr in der Lage, die Masse der Rückreisenden zu bewältigen und es gibt Rückstaus bis hin zum Verkehrskollaps in den kleinen Hafenstädten. Da kann es schon mal laut und hektisch werden und der ein oder andere Ellenbogen kommt schon mal zum Einsatz.

Das sollte aber keinen Urlauber davon abhalten, eine Schiffspassage zu buchen. Zum einen ist man in den letzten Jahren doch so einsichtig geworden, die Streiks überwiegend nicht in die Urlaubssaison zu legen, zum anderen ist man es zumindest als regelmäßiger Griechenlandurlauber gewohnt, dass einen ein angekündigter Streik nicht wirklich verzweifeln lässt. Ob ich etwas vermissen würde, wenn alles immer perfekt und reibungslos ablaufen würde? Ich glaube schon.